Die netten Tanten

Nungut, ihr seid ja sicherlich nicht aus Versehen auf dieser Seite gelandet – aber trotzdem dürfte der eine oder andere noch ein paar Fragen haben, wer zum Teufel verdammte Kiste noch mal die netten Tanten überhaupt sind und wie das alles bisher so ablief. Und genau das will ich (Stefan schreibt hier, Gerhard ist gerade nicht da) euch nun erzählen. Also nehmt euch was gemütliches zu Sitzen, es geht los:

Radio Badio

Wenn ich das alles noch so richtig in den Zusammenhang bringen kann, war es wohl 1997, als der Offene Kanal Westküste seine Türen öffnete. Ein Radiosender nur für Bürgerinnen und Bürger des Landes Schleswig-Holstein. Toll! Und da wir uns als (noch nicht ganz so) alte Husumer zu dieser Bevölkerungsgruppe zählten, vergingen keine 24 Stunden und wir fanden uns plötzlich in einer Radiogruppe der evangelischen Kirchenkreisjugend wieder. Diese war zwar inhaltlich (wir erinnern uns: evangelische Kirchenkreisjugend) nicht ganz so unser Bier, aber der Initiator der Gruppe war im Gegensatz zu uns schon deutlich über 18 Jahre alt, hatte vor kurzem einen Radiokurs absolviert und den brauchte man, um eine eigene Radiosendung auf die Beine zu stellen.

Kurze Zeit später saßen wir mit gut fünf-sechs anderen Leuten an einem großen Tisch zusammen, um ein Konzept sowie einen Namen für die Sendung zu finden. Sehr praktisch dabei war die Tatsache, dass die Gruppe sich aus nur einem Vertreter der evangelischen Kirchenkreisjugend und dementsprechend deutlich zahlreicheren Vertretern der, nennen wir sie mal hedonistischen Seite zusammensetzte. So wurde sich dann auf den Namen „Radio Badio“ geeinigt (weil das so schön gar nichts aussagte).

Jeder Teilnehmer durfte zur Sendung seine Lieblingsmusik mitnehmen, die – so war die selbstauferlegte Prämisse – in voller Länge ausgespielt werden musste, auch wenn alle anderen die Musik als unerträglich empfanden. So stand die Sendung schon recht früh mit einem Bein im Trash-Genre, dem man aber natürlich noch einen drauflegen konnte. Es stellte sich auch bald schon die Frage nach einer sendungseigenen Band, die bekannte Songs auf schlimme Art und Weise nachspielt. Da sich aber sonst niemand zu dieser Aufgabe berufen fühlte, taten Gerhard und ich uns letztendlich zusammen, um eben diese Band zu formieren. Das Besondere war: Gerhard war kein großer Sänger (es gibt Leute, die behaupten eher das Gegenteil) und ich war nie ein großer Keyboardspieler (hier gibt es wiederum keine zwei Meinungen), doch genau dieser Fakt machte das ganze Bandprojekt direkt zu etwas Außergewöhnlichem. Ein Name war schnell gefunden: Die netten Tanten – weil auf einer Wand in der Nähe der Husumer Viehmarkthalle genau dies angesprüht war. Jemand schien die Band „Die Böhsen Onkelz“ verunglimpfen zu wollen, das fanden wir gut und nannten uns fortan „Die netten Tanten“.

Gerade noch im Radio, jetzt schon auf unserer Schouwbühne!

Während in der wöchentlichen Radiosendung anfangs noch von der Rubrik mit dem Namen „Fast das Original“ die Rede war, redete man kurz darauf nur noch vom „Nette Tanten-Song der Woche“. Wir fanden recht schnell unsere Fans (insbesondere in der Sendeleitung des Offenen Kanals in Heide, die die Sendung mitunter anschließend kurz und bewusst-leidend kommentierte) und als dann im Sommer 1998 das Schulfest der beiden Husumer Gymnasien anstand, stand auch für uns fest: Da müssen wir spielen! Da wir mit großen Teilen der Radio Badio-Besetzung in den vergangenen Jahren das Schulfest bereits durch Playback-Auftritte unserer Spaßvogelcombo „Berto Latsche and Friends“ unsicher gemacht und dadurch gute Beziehungen zu den Organisatoren des Festes hatten, luden wir uns kurzerhand selbst ein.

Für den Auftritt haben wir dann tatsächlich kurz geübt, was aber so in der Form später zur absoluten Seltenheit wurde. Viel wichtiger empfanden wir die Wahl des Bühnenoutfits. Der Name ließ wenig Spielraum für Interpretationen, also warfen wir uns stilecht Rentnerinnen-Klamotten über und ließen es auch an Schmuck und Handtäschchen nicht mangeln. Als Bühnenbild stand zudem noch ein Sofa bereit, dessen einzige Funktion es war, ein Versteck für den später noch auftretenden Berto Latsche (alias Michael Nowack) zu sein. Und so absolvierten wir am zweiten Abend des Schulfests 1998 unseren ersten Auftritt.

Das anwesende Publikum spaltete sich in begeistert und befremdet, aber genau das hatten wir auch erwartet. Immerhin war die Stimmung bei der einen Hälfte kaum zu toppen und bescherte uns einen gelungenen Einstieg in unsere große kleine Bühnenkarriere. Die Videokamera sowie der Minidiskrekorder schnitten die Veranstaltung brav mit – und wenn ich die Bänder noch mal wiederfinde, werde ich demnächst alles mal digitalisieren und hier zeigen.

Netnat Netten Eid

Mit dieser herrlichen Aufnahme im Gepäck dachten wir, es wäre vielleicht eine gute Idee, das ganze auch auf CD zu brennen und unter die Leute zu bringen. Allerdings war der Auftritt von etwa 30 Minuten Länge noch nicht genug, um daraus ein komplettes Album zu machen. So trafen wir uns kurz darauf wieder im Keller des Husumer Haus der Jugend, um einige weitere Titel aufzunehmen. Und weil wir mit einem vollkommen dilettantischen Ansatz an die Sache herangingen, dauerte es auch nicht allzu lang, bis wir das erste Album im Kasten hatten.

Woher der Name „Netnat Netten Eid“ letztendlich kam, ist nicht geklärt. Ich meine, dass wir da auch nicht groß drüber diskutiert hätten. Am Ende hieß das Album einfach so. Schluß, aus, fertig. Mit Corel Draw wurde schnell dann auch das Cover gestaltet, die Zeichnung kommt übrigens von unserem gemeinsamen Freund Tobi Krieg. Das nervigste Element war letztendlich das Brennen der CDs. Da die erhältlichen CD-Brenner noch nicht zu wesentlich mehr als Double Speed fähig waren, dauerte der Brennvorgang pro CD eine gute halbe Stunde. An einem produktiven Nachmittag schaffte man vielleicht zehn CDs, wenn nicht zwischendurch der Brennvorgang abgebrochen wurde, weil es mal wieder einen „Buffer Underrun“ gab. Aus heutiger Sicht fast niedlich, früher jedoch ultra-nervig. Die ersten 10 CDs wurden mit doppelten Autogrammen versehen, quasi um eine limited-limited-Edition zu produzieren. Diese verkauften sich dann auch erfreulich gut, so dass wir quasi dazu gezwungen waren, weitere Nachmittage mit dem Brennen von CDs zu verbringen.

Live is Life

Im Folgenden verbreitete sich die CD über unseren Freundeskreis hinaus, nicht zuletzt, weil man damals ja auch untereinander kopierte und tauschte, was aber für alle ganz selbstverständlich war und wogegen wir auch nichts hatten. Ganz im Gegenteil, dadurch, dass unsere CD so große Kreise zog, fanden wir uns plötzlich immer öfter in der Situation wieder, Konzerte zu spielen. Diese reichten von Gartenpartys über Geburtstagsfeiern hin zu Betriebsfesten – und letztendlich auch Konzerten. Soweit ich mich erinnern kann, war unser erster wirklich großer Auftritt, bei dem wir uns nicht selbst abmischen mussten, auf dem von einem Mitschüler organisierten Festival „Rock im Tal“, das allerdings so erfolglos war, dass besagter Herr später sein Auto verkaufen musste, um die Kosten, auf denen er sitzengeblieben war, tragen zu können. Bei Rock im Tal gab es sogar zwei Headliner, nämlich „Lecker Fischbrät“ und die „Cucumber Men“ – und auch wenn diese Bands heute kaum noch jemand kennt: früher war das ziemlich klasse für uns, zwischen solchen Gruppen spielen zu können.

A propos zwischen: Bei diesem Festival manifestierte sich relativ schnell unser Status als Pausenclowns. Unser Equipment beschränkte sich meistens auf zwei Mikrofone und ein Keyboard, so dass wir prima in den Umbaupausen auf Festivals und Konzerten eingesetzt werden konnten. So hatten wir oft nicht nur einen Auftritt am Abend, sondern mitunter auch mal fünf oder sechs. Das ist natürlich ein anstrengender Umstand, wenn man wie wir auch schon mal dem Alkohol zuspricht, so dass spätere Auftritte dann mitunter in vollkommener Anarchie endeten. Interessanterweise waren wir insbesondere auf Punkfestivals gefragt, obwohl unser elektronisch-alberner Sound insgesamt doch recht wenig mit lauten, schnellen Gitarren zu tun hatte. Das Punk-Publikum war aber in der Regel erstaunlich dankbar und offen, so dass unsere Auftritte immer mehr zu den heimlichen Highlights der Veranstaltungen wurden.

Ekstra Ferro

Mittlerweile hatte ich mir einen neuen Synthesizer gekauft, der in Sachen Flexibilität und Programmierbarkeit den alten Casio-Keyboards um Längen voraus war. So konnten wir deutlich ausgefeiltere Arrangements und Songs spielen und dank des Sequencers ließen sich viele Abläufe schon im Voraus einprogrammieren. Und da sich der Tanten-Sound dadurch ein wenig änderte und wir uns von unserer ersten CD nicht mehr so wirklich repräsentiert fühlten, musste eine neue aufgenommen werden. Und genau wie beim ersten Mal trafen wir uns im Keller des Husumer Haus der Jugend und spielten eine Platte ein, die vor Wahnsinn nur so strotzte. Zufrieden mit den Aufnahmen nannten wir das Ding „Ekstra Ferro“ – als Hommage an die vielen kryptischen Bezeichnungen von Audiokassetten sowie an die dänische Sprache, die wir beide in der Schule zwar mehr schlecht als recht, aber dennoch mit großer Freude gelernt hatten.

Das neue Album wurde auf schwarze Rohlinge gebrannt, die man von den Playstation-Spielen kannte. So hatten wir ein kleines Extra für diejenigen, die das Album bei uns kauften, anstatt es sich bei Freunden zu brennen. Auch ein halbwegs professionelles Cover gab es diesmal; ich hatte gerade mit meiner Ausbildung zum Mediengestalter begonnen und durfte im Rahmen meiner Ausbildung das CD-Cover gestalten und zum Druck vorbereiten. So wurde „Ekstra Ferro“ zu einer für Amateurverhältnisse doch recht ansehnlichen CD-Produktion und verkaufte sich bei den Konzerten ebenfalls recht erfreulich.

Schuhbombe

Da wir nun aber beide mittlerweile unsere Schul- und Zivildienstlaufbahn abgeschlossen hatten und in unterschiedlichen Städten wohnten (Gerhard Flensburg, ich weiterhin Husum), wurde die Auftritts- und Musik-Aufnahmefrequenz deutlich weniger. Auch unsere Radiosendungen, die wir über viele Jahre gemeinsam produziert haben (so haben wir noch lange Zeit die Radio Badio-Fahne hochgehalten, zudem gab es noch eine Musik- und Schnacksendung namens „Hansens Poller“), mussten leider deutlich eingeschränkt werden.

Trotzdem hielt uns dieser Umstand natürlich nicht davon ab, weitere Veröffentlichungen zu erdenken und Pläne zu schmieden. Zunächst sollte eine weitere Live-CD mit dem Namen „Schuhbombe“ erscheinen. Der Name „Schuhbombe“ kam folgendermaßen zustande: Gerhard und ich hatten uns breitschlagen lassen, um mit einigen befreundeten Juso-Aktivisten nach Westerland auf Sylt zu fahren, die dort Fußgängerzonen-Wahlkampf betreiben wollten. Wir selbst hatten daran natürlich nicht allzugroßes Interesse, immerhin lockte eine angekündigte Party am Abend, die letztendlich aber nicht der Rede wert war.

Wir standen also in der Fußgängerzone Westerlands herum und langweilten uns zu Tode während unsere Juso-Freunde Flyer und Werbegeschenke verteilten. Irgendwann kamen wir auf die Idee, aus Verzweiflung Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst zu spielen. Im Laufe des Nachmittags spielte ein Schuhgeschäft namens „Schuhbombe“ eine wesentliche Running-Gag-Rolle, so dass wir uns wie so oft dazu verleiten ließen, Dinge, die eigentlich gar nicht witzig sind – insbesondere für Unbeteiligte nicht – so witzig zu finden, dass wir unsere neue CD danach benennen wollten. Ein paar Monate später gab es allerdings einen misslungenen Anschlag auf ein Flugzeug, bei dem ein Terrorist eine Bombe in seinem Schuh versteckt hatte, dann aber doch noch rechtzeitig abgefangen wurde. So erschien uns der Name dann doch irgendwie unpassend. Zudem hatten wir auch keinen einzigen, wirklich zufriedenstellenden Mitschnitt, den es sich zu veröffentlichen gelohnt hätte und so verschwand die Schuhbombe wieder in der Schublade.

Flensburg-Köln-Connection

In den folgenden Jahren ebbte der Kontakt noch ein ganzes Stück mehr ab, da ich mittlerweile nach Köln umgezogen war und ein spontanes Treffen, wie früher selbstverständlich, einfach nicht mehr möglich war. Dennoch trafen wir uns während meiner Urlaube im Norden immer wieder, nicht zuletzt um neue Radio Badio-Folgen aufzunehmen. Alle zwei Jahre findet in Husum zudem das sogenannte „Girls and Boys are Back in Town“-Festival statt, bei dem ehemalige Schülerbands noch einmal auf die Bühne steigen und unter Beweis stellen (wollen), dass sie in der Zwischenzeit nichts verlernt haben. Und es ist uns natürlich jedes Mal eine riesige Freude, dort nach so langer Zeit mal wieder dem Publikum zu zeigen, wo der Hammer hängt. Zudem muss man ganz unbescheiden sagen, dass in der Zwischenzeit irgendetwas mit uns passiert sein muss, denn die dort absolvierten Auftritte sind in der Regel die besten, die wir bis dahin gespielt haben. Auch auf meiner eigenen Hochzeit 2010 spielten wir ein kleines Konzert, womit für mich ein heimlicher Lebenstraum in Erfüllung ging.

Und weil wir so gute Freunde sind, lieber Besucher dieser Internetseite, gibt es extra für dich einen Mitschnitt dieses Auftritts:

Living Next Door To Alice Cooper

Und natürlich gab es auch weiterhin Überlegungen zu einem neuen Album. Der Name „Living Next Door To Alice Cooper“ entstand wieder einmal aus dem Nichts und wurde von uns beiden als lustig eingeschätzt. Zu den eigentlichen Aufnahmen kam es aber erst im April 2011, als Gerhard seinen Urlaub in Köln verbrachte und wir endlich einmal wieder in Ruhe unserem Faible für Quatsch nachgehen konnten.

In der Zwischenzeit hatte sich musikalisch bei mir einiges getan. Ich habe technisch unheimlich viel dazugelernt, verdiene mittlerweile einen Teil meiner Miete mit Musikproduktion und habe auch schon mit diversen größeren Namen zusammengearbeitet. Dennoch musste sich das neue Tanten-Album wieder gewohnt dilettantisch anhören, denn gerade das ist ja das Besondere an unserer kleinen Band. Immerhin treffe ich beim Einspielen der Keyboards immer noch nicht die Töne und verspiele mich ständig – und auch Gerhard singt immer noch erfreulich falsch. Aber die reine Produktion des Albums fand auf einem recht hohen Qualitätslevel statt.

Soundmäßig haben wir diesmal auf digital klingend Synthesizer (wie sie bei Ekstra Ferro ja mitunter zu hören waren) verzichtet und versucht, alles so rund und rudimentär klingen zu lassen, wie nur irgendwie möglich. Dazu kam hauptsächlich wieder mein altes, ehrwürdiges Casio-Keyboard zum Einsatz, dessen Drumsounds sich wie ein roter Faden durch das Album ziehen. Zudem basiert der aktuelle Tanten-Sound stark auf dem Nintendo NES-Synthesizer, was dem gesamten Klang eine gewisse Verspieltheit und Tüdeligkeit verleiht. In nur zwei Tagen haben wir dann die grundsätzlichen Aufnahmen durchgezogen und abgeschlossen, gefolgt von der endgültigen Abmische, die auch noch mal ein paar Tage gedauert hat.

Und da ist es nun! Living Next Door To Alice Cooper! Der vorläufige Höhepunkt unseres Schaffens und viel mehr geht auch gar nicht! Und wenn ihr das genauso seht, freuen wir uns sehr und vielleicht laufen wir uns ja mal auf einem unserer seltenen Konzerte über den Weg. Joh joh sech de Koh – Casio rockt das Haus!

Und weils gerade so schön ist: hier noch das Video von dem Release-Konzert 2012 im Husumer Speicher: